„Die Lichter gehen nicht aus, wenn alle Autos laden!“

„Die Lichter gehen nicht aus, wenn alle Autos laden!“

Als Aradex 1989 gegründet wurde, beschäftigte sich das Unternehmen mit reiner Steuerungstechnik. 1991 kamen Umrichter dazu, 2004 wurde das Portfolio um mobile Anwendungen ergänzt. 2013 erhielt das Unternehmen den Innovationspreis des Landes Baden-Württemberg für die Neuentwicklung eines elektrischen Traktionsumrichters. Wir sprachen mit dem Unternehmensgründer Thomas Vetter über Gemeinsamkeiten der Geschäftsbereiche, Hindernisse bei der Umsetzung von Elektromobilität und darüber, dass das meiste Definitionssache ist.

(Bild: Aradex AG)

IoT: Welche unterschiedlichen Anforderungen seitens Elektromobilität und der Industrie gibt es an einen Um- oder Wechselrichter?

(Bild: Aradex AG)

Vetter: Denkt man an die Baugröße, muss er im mobilen Bereich um einige Faktoren kleiner sein. Bei der Belastbarkeit hinsichtlich mechanischer Schocks und Vibrationen ist der Unterschied noch deutlicher: hier gehen wir von rund einer Zehnerpotenz aus. Hinsichtlich der Lebensdauer kommt es ganz darauf an. Wir tummeln uns im Bereich der Nutz- und Funktionsfahrzeuge, dort sind die Anforderungen an die Lebensdauer ähnlich hoch wie in der Industrie. Ein PKW ist normalerweise für 5.000 Stunden ausgelegt, größere Nutzfahrzeuge liegen bei etwa 30.000 Stunden, bei Schiffen legt man die Antriebsstränge für 60.000 Stunden aus. Die grundsätzliche Struktur ist ähnlich, man muss aber das Bauvolumen massiv verkleinern. Das erhöht natürlich die Leistungsdichte, was wiederum neue Probleme und Herausforderungen schafft.

IoT: Aradex beschäftigt sich auch mit virtueller Sensorik, was verstehen Sie darunter?

Vetter: Ein Beispiel: Wenn man Industrie 4.0 machen will, dann braucht man jede Menge Informationen. Sich diese Information mit Sensoren zu holen hat Nachteile, denn Sensoren kosten Geld und Sensoren reduzieren die Zuverlässigkeit. Wir gehen davon aus, dass man das schlauerweise tun muss, mit dem was man ‚virtuelle Sensorik‘ nennt. Das heißt, dass man aus den Kenngrößen, die man sowieso verarbeitetet, also Strom und Spannung, auch systemische Größen ableitet, konkret z.B. das Drehmoment eines Motors. Das setzen wir seit Jahren im Bereich Industrie und Elektromobilität ein, z.B. bei Zerspanungsprozessen, denn bei der Zerspannungsspindel sind die Drehmomente sehr hochauflösend zu sehen. Damit können wir Schlussfolgerungen auf das Werkzeug oder das Werkstück ziehen.

IoT: Worauf basiert die virtuelle Sensorik?

Vetter: Die Grundbasis ist natürlich die Regelungstechnik. Es genügt nicht den Strom zu messen und dann ist man fertig. Das muss man extrem schnell tun und Echtzeitmodelle müssen hinterlegt sein. Wir machen das übrigens mit FPGAs, das haben wir bereits 1989 eingeführt. Wir waren damals einer der Anwendungspioniere, die FPGAs im Umrichter eingesetzt haben. In FPGAs kann man Dinge sehr deterministisch sehr schnell tun, so kann man überhaupt auf diese Auflösung und auf diesen Nutzen kommen. Das sind die Grundlagen.

IoT: Das heißt, mit robusten Sensoren kann man deutlich höher auflösend arbeiten, wenn man die intelligent in einem FPGA auswertet?

Vetter: Richtig, in sogenannten Resolvern. Die Auswertung im FPGA ermöglicht eine 16 mal genauere und sieben mal schnellere Auswertung. Diese genauen Messdaten sind notwendig für eine feinfühligere Regelung, die höhere Wirkungsgrade ermöglicht. Wenn man mehr aus der Sensorik rausholt, muss man die Daten intelligent aufarbeiten und in den Regelungsprozess einspeisen, der dann in den Teillastsegmenten mehr rausholt – das alles bedingt sich und ist ein Thema, was nicht mit einem Dreisatz zu erklären ist. Die Mühe, dort tiefer einzutauchen, lohnt sich aber, man kann hier wirklich mehrere Prozentpunkte rausholen.

IoT: Um mal den Bogen zur Elektromobilität zu spannen, wie steht es dort um das Thema Effizienz?

Vetter: Die Effizienz im Mobilbereich wirkt mit einem Doppelschlag, wenn man zum einen an die Stromrechnung, aber zum anderen auch an die Investitionsrechnung der Batterie denkt. Der reine Strombedarf, wenn ich nachts mehr tanken muss, oder weniger, wenn ich tagsüber schlauer fahre, ist das Eine. Aber ich spare mir die Investitionskosten und auch die Rohstoffe der Batterie. Das ist eine Mehrfachwirkung. Dass dieses Thema Effizienz hier noch viel deutlicher zu beleuchten ist, als z.B. was Sie eben mit dem Energielabel A+ auf einer Waschmaschine haben. Dort ist es auch wichtig, aber in der Elektromobilität hat es eine immense Wichtigkeit. Das übersehen viele. Es geht hier um Investitionen und um Rohstoffverbrauch. Man muss das Thema systemisch betrachten.

IoT: Was meinen Sie mit dem systemischen Blick auf die Elektromobilität?

Vetter: Wir beleuchten einen Prozess nicht von der Komponente her. Nehmen wir mal an, wir haben einen Kunden, der sagt *Ich hab hier ein Fahrzeug*. Dann könnte ich fragen, welche Leistung er braucht, entweder Drehzahl oder Drehmoment. Und dann ist die Sache erledigt. Das tun wir im allerersten Blick auch, damit wir wissen, ob es sich um ein Motorrad, ein Flugzeug oder eine Eisenbahn handelt, aber dann geht es in die Tiefe. Dann geht es nicht um die Frage welches Fahrzeug der Kunde hat, sondern was sein Fahrzeug draußen tut. Wir reden also nicht über das Fahrzeug, sondern über den Prozess. Denn wir kommen vom Prozess, den das Fahrzeug erfüllen muss, von der Aufgabe, rückwärts zu den einzelnen Leistungskomponenten. Vom Antrieb, vom Ladekonzept, von der Energieverteilung. All das wächst nicht aus den Produkten, sondern es wird von oben nach unten definiert.

(Bild: Aradex AG)

IoT: Das heißt, die Definition muss stets im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen?

Vetter: Ja, ich muss immer die Verwendung meines Fahrzeuges im Blick behalten. Die meisten denken dass es reicht eine Funktion zu haben: „Da ist ein Dieselmotor drin, den tu ich raus, mache einen Elektromotor rein und bin dann fertig.“ Als das Automobil erfunden wurde hieß das im Übrigen am Anfang ‚Motordroschke‘. Aus der Pferdedroschke wurde eine Motordroschke. Man hat das Pferd und die Lederzüge weggemacht und dafür einen Benzinmotor eingebaut. So sahen die ersten Autos von Benz aus, das war eine Droschke. Das dauerte ungefähr 20 Jahre bis ein gewisser Herr Maibach, der Ingenieur bei Benz war, sagte: „Ein Automobil ist keine Motordroschke. Ein Automobil ist etwas eigenes. Wir müssen definieren worum es da geht.“ Genau das muss auch in der Elektromobilität einsetzen. Ein wirkliches Elektroauto ist nicht ein Benzinauto, wo man den Motor ausgetauscht hat. Das gilt auch für Nutzfahrzeuge.

IoT: Was bremst Ihrer Ansicht nach das Thema aus?

Vetter: Das Thema ist sehr vielschichtig. Ich sehe die Hauptfaktoren vor allem in der Reichweite und dem Preis, aber was deutlich mehr dazu beiträgt, ist die mangelnde Infrastruktr. Wir gehen davon aus, dass die Kapazitäten der Batterien deutlich nach oben gehen werden – hin zu einer Verdoppelung in wenigen Jahren. In Labors ist bereits eine Verzehnfachung sichtbar. Wenn das erst industrialisiert ist, reden wir von einer Reichweite in der 1.000Km-Klasse, da ist die Reichweite schlicht kein Thema mehr. Vor Szenarien nach dem Motto „Wenn alle Autos laden gehen die Lichter aus“ brauchen wir uns also nicht zu fürchten.

IoT: Und wie steht es um die preisliche Gestaltung?

Vetter: Hier muss man die Anwender und Kunden verstehen – und die Denkweise ändern. Wenn Sie an teure Arbeitsfahrzeuge denken, wie ein Straßenreinigungsfahrzeug, war es bisher unwichtig, ob ob es ein oder fünf mal in der Woche tankt. Wenn Sie aber eine Batterie, den Tank-Faktor 2 sozusagen, nach oben dimensionieren: doppelt so schwer, doppelt so teuer – dann ist das unbezahlbar. Es gibt also einen Wertewandel. Ich muss jede Anwendung nach ihrem Tagesverbrauch anschauen und gegebenenfalls anpassen. Hier haben wir uns inzwischen Werkzeuge geschaffen, wie man das genauer herausfinden kann. Technologisch sehen wir hier auch unsere Hauptarbeit: Wie können wir den Wirkungsgrad in diesem Teilbereich bessern? Dazu ein kurzer historischer Exkurs: Was für eine Wirkungsradzahl haben Sie bei einem Dieselmotor im Kopf? Meist liest man etwas von 35 bis 45 Prozent. Im Stadtverkehr kann man im Mittelklassewagen oder Omnibus schon froh sein, wenn man 15 Prozent erreicht. Das heißt der Wirkungsgrad im schleichenden Verkehr ist vielleicht noch ein Drittel von dem, was die Maschine eigentlich bei Nominalbetrieb hat.

IoT: Wieso wird der Wirkungsgrad dann bei Nennlast angegeben?

Vetter: Darüber kann ich nur schmunzeln. Das ist für ein Stammtischgespräch sicher interessant, aber doch für den Betriebsalltag einer Mobilitätsmaschine absolut unwichtig. Wichtig ist, was man im Realbetrieb hat. Gerade bei einem Omnibus ist der Teillastbereich, der Bereich den ich mit relativ wenig Leistung fahre, der dominierende. Wir haben das für den Omnibus im Stadtverkehr einer mittelgroßen Stadt mal protokolliert und haben herausgefunden, dass er zu 90 Prozent von den Stunden eine Leistung von weniger als 20 Prozent hatte von dem, was installiert ist.

IoT: Wo haben Sie mit ihrer Arbeit angesetzt?

Vetter: Wir versuchen zu ermöglichen, dass genau in diesem Bereich der unteren Teillast der Wirkungsgrad so hoch wie möglich geht. Dazu müssen Sie in den Motor eingreifen, in den Umrichter und in die Regelstrategie. Da holt man einige Prozentpunkte raus. Noch ein Beispiel: ein Transport-LKW versorgt den innerstädtischen Lieferbereich mit Getränken oder Lebensmitteln . Dort sind Batteriegrößen von 200 bis 300kWh installiert. Wenn Sie davon 10 Prozent sparen, dann sind Sie 20 bis 30kWh weniger unterwegs. Dann muss man gucken, wie viel diese 20 bis 30kWh kosten und das auf einige Jahre hochrechnen. Der Hauptansatz muss sein, die Effizienz im Realbetrieb zu erhöhen, die Batterien kleiner zu machen, und die Reichweite vergrößern. Die Reichweite sollte soweit sein, dass man während des Tages nicht mehr laden muss. Während des Tages andauernd einen Omnibus laden zu müssen ist ein komplett falscher Ansatz. Oder die Autobahn mit Oberleitungen voll zunageln, damit die LKWs zwei oder drei Stunden mit Oberleitung fahren, das halte ich nicht für erfolgversprechend.

IoT: Herr Vetter, vielen Dank für dieses sehr informative Gespräch. (clj)

Aradex AG
www.aradex.de

Thematik: Allgemein
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