Hürden überwinden

Hürden überwinden

Interview mit Norbert Hauser, Executive Vice President ­Marketing, Kontron AG

Kontron als einer der weltweit führenden Embedded Computer Hersteller hat jüngst den strategischen Einstieg in die ARM-Technologie angekündigt. Im Gespräch mit Embedded Design erläutert Norbert Hauser, Executive Vice President Marketing bei Kontron, die Gründe für die Erweiterung des Angebots. Und: mit welchen Produkten und Services Kontron Unternehmen helfen will, bestehende Hürden zwischen den Prozessor-Architekturen zu überwinden.

Welches waren die Hauptargumente bzw. die ausschlaggebenden Entscheidungskriterien für die strategische Ausrichtung, im Low-Power-Bereich auf ARM-Prozessoren zu setzen?

Norbert Hauser: Wir haben schon seit längerem ARM/RISC-basierte Lösungen im Produktportfolio. Der Fokus unseres Angebots lag jedoch primär auf der x86er Prozessortechnologie. Diesen erweitern wir nun durch den umfassenden Support der ARM Technologie, was aus unserer Sicht auch Sinn macht, da neueste ARM Prozessoren im Tablet Bereich beispielsweise sehr energieeffizient für Funktionen eingesetzt werden, die Consumer früher am stationären PC oder Notebook erledigt hatten. Die Nachfrage nach dieser neuen Technologie ist dabei insgesamt sehr groß. Marktforscher gehen von einem langfristigen Wachstum von 15 Prozent CAGR bis 2016 aus. Die Potenziale dieser Prozessoren wollen wir unseren Embedded-Kunden nicht vorenthalten. Wir sehen beispielsweise gerade im HMI-Segment sehr attraktive Anwendungsfälle. Neben besonders energieeffizienten, stationären Lösungen schätzen wir aber auch insbesondere neue mobile Embedded-Lösungen mit äußerst batterieschonenden Eigenschaften als einen sehr attraktiven Wachstumsmarkt ein. In der Summe also eine sehr wertvolle Ergänzung unseres Portfolios.

Was hat den Ausschlag gegeben, sich gerade jetzt verstärkt im ARM-Prozessor-Markt zu engagieren?

Norbert Hauser: Neueste ARM-Technologie ist mit dem aktuellen Leistungsangebot für Consumer-Tablet-Applikationen auch für Embedded-Computing-Applikationen in SFF-Design sehr interessant geworden. Neben der verbesserten Hardware spielt auch der zunehmende Software-Support eine Rolle. So wird z.B. Microsoft mit dem kommenden Windows 8 künftig auch gewisse ARM-Prozessor Implementierungen unterstützen. Bei zunehmend vereinheitlichter Softwarebasis wird die Migration zwischen verschiedenen Prozessorarchitekturen folglich leichter, was viele unserer Kunden die noch immer bestehenden Hürden für den Wechsel der Prozessortechnologie leichter überwinden lässt. Vorhandene und neue Lösungen können mit immer weniger Aufwand zwischen RISC- und CISC-Architekturen portiert werden. Die jeweilige Prozessorarchitektur kann so als Entscheidungskriterium zunehmend in den Hintergrund rücken, wenn nicht gerade „deeply embedded“ auf „bare Metal“ programmiert wird. Entscheidend werden dann vielmehr die Leistungsaufnahme sowie die Performance pro Watt und Euro. Deshalb ist es für uns ein logischer Schritt, verstärkt auch für die nutzwertig sehr naheliegende ARM- und RISC-Technologie passende Lösungen anzubieten.

Dienstleister im Bereich von ARM- und SoC-Implementierungen setzten bis dato auf Full-Custom-Design Services. Was bietet Kontron an?

Norbert Hauser: Neben der früher begrenzten Software-Kompatibilität gibt es einen weiteren Hemmschuh, der die stärkere Verbreitung der ARM-Technologie im Embedded Computing Sektor gebremst hat: der ausgesprochene Fokus auf Full-Custom-Designs. Die Notwendigkeit für die in der Vergangenheit meist individuelle Entwicklungen beruht zwar zum einen auf der sehr spezifischen Ausprägung der ARM-Prozessoren sowie den bislang fehlenden Standards. Und bei großen Stückzahlen – wie im Consumerbereich – rechnet sich der höhere Entwicklungsaufwand. Für viele unserer Embedded-Kunden, die mit deutlich kleineren Stückzahlen kalkulieren, rechnet er sich hingegen nicht. Deshalb müssen Standard-Plattformen her, denn nichtsdestotrotz ist die ARM-Technologie aufgrund ihrer Energieeffizienz für viele OEM sehr interessant. Um die Einstiegshindernisse folglich abzubauen und die Investitionssicherheit in die ARM-Technologie für unsere Kunden zu erhöhen, setzen wir auf standardisierte Building-Blocks wie Standard-Motherboards oder Computer-on-Modules. Zum einen werden wir direkt einsetzbare SFF Boards im industrietauglichen Mini-ITX und Pico-ITX Formfaktor anbieten, mit denen OEMs auf Basis eines etablierten Ökosystems schnell und einfach ARM-Technologie integrieren können. Für Applikationen die mit den generischen Standardschnittstellen wie DVI- oder HDMI-Grafikausgang, USB und Ethernet auskommen, sind sie die kostengünstigste Alternative. Der zweite Weg den wir anbieten, ist ausgerichtet auf Applikationen, die individuelle Schnittstellen verlangen oder eine sehr spezifische Bauform aufweisen und somit nicht mit Standard-Embedded-Motherboards bedient werden können. Für solche Fälle eignen sich Computer-on-Modules auf Basis von ARM und anderen SoCs sehr gut. Hierfür haben wir einen neuen Standard für Computer-on-Modules als Low Power Embedded Architecture Platform geschaffen und das bewährte COM-Prinzip auf ARM und SoC Architekturen ausgedehnt: Mit den neuen COMs nach diesem Standard stehen die Vorteile nun auch für diese Technologien zur Verfügung: eine kompatible und langzeitverfügbare Plattform, die hohe Designflexibilität und -sicherheit mit Langzeitverfügbarkeit verbindet. Alles Punkte also, die OEM so auch von x86er-basierten COMs bereits seit vielen Jahren kennen und schätzen.

Was genau zeichnet denn diesen neuen COM-Standard für ARM- und SoC-Prozessoren aus?

Norbert Hauser: Zunächst einmal wollen wir mit diesem COM-Standard gleich von Beginn deutlich machen, dass unser strategischer Einstieg in die ARM-Technologie nicht auf kurzfristige Ziele sondern auf dauerhaften Nutzen für unsere Kunden angelegt ist. Und wir wollen die Standardisierung skalierbarer Technologien – die im Embedded-Module-Sektor für x86er insbesondere dank ETX und COM Express eine echte Erfolgsgeschichte ist – auch für die non-PC-Architekturen verfügbar machen. Der Vorteil: Dank der Standardisierung reduzieren sich für OEM sowohl der Entwicklungsaufwand als auch die Time-to-Market deutlich. Zudem steigt die Designsicherheit. Das kennzeichnende Merkmal des neuen COM-Standard ist sein sehr flach bauender Steckverbinder mit einer Bauhöhe von lediglich 4,3 Millimetern. Zudem umfasst der Standard zwei unterschiedliche Modulgrößen, für eine hohe Flexibilität. Definiert sind ein kürzeres Short Modul sowie ein Full-Size Modul. Als Interface zum Carrierboard baut der Standard auf dem MXM 3.0 Steckverbinder mit 314 Pins auf und ermöglicht so robuste Designs mit einem kosteneffizienten Card-Edge-Stecker. Den Steckverbinder gibt es übrigens auch in einer besonders schock- und vibrationsfesten Auslegung für raue Umgebungen. Des Weiteren integriert der Standard auch neue Schnittstellen speziell für die neuen ARM- und SoC-Prozessoren: So werden beispielsweise LVDS, 24-bit RGB und HDMI sowie für zukünftige Designs embedded DisplayPort, unterstützt. Ebenso werden erstmals dedizierte Kameraschnittstellen in einen COM Standard aufgenommen, die von den PC-like ARM Prozessoren unterstützt werden. Damit differenziert sich der neue Modulstandard auch von den bislang primär für x86er genutzten COM-Spezifikationen, die einen ähnlichen physikalischen Aufbau bieten. Die Anwender müssen folglich keinen Spagat mehr zwischen einem x86er Featureset und schlanken ARM- bzw. SOC-I/Os meistern.

Adlink unterstützt als erster Mitstreiter den neuen ARM-Module Standard von Anfang an. Welche Vorteile ergeben sich dadurch für OEMs?

Norbert Hauser: OEMs erhalten so von Anfang an eine Second-Source für diese neu definierten Computer-on-Modules. Diese Unterstützung des neuen Standards quasi aus dem Stand heraus wird den Erfolg nochmals beschleunigen, da Hemmschwellen herabgesetzt werden und die Standardisierung von Anfang an nicht von einem Unternehmen alleine vorgegeben, sondern gemeinschaftlich erarbeitet wird. Als wir damals die Grundlagen für den heutigen COM Express Standard gelauncht hatten, war nur Intel als Partner mit dabei. Mit Adlink haben wir aber auch einen Module-Anbieter direkt mit an Board. Das beschleunigt die Entscheidungsprozesse bei OEMs signifikant.

Kann man der bestehenden x86er-Kundenbasis das neue ARM-Module- und -Board-Angebot schmackhaft machen? Oder adressieren Sie vorwiegend neue Applikationen?

Norbert Hauser: Auf Anwendungsseite sind es viele neue Applikationen, die wir mit x86 Technologie bisher nicht adressieren konnten – etwa bei mobilen Handhelds, Tablets oder anderen tragbaren und akkubetriebenen Geräten. Wir rechnen hier aber damit, dass unsere ARM-Angebote auch für OEMs interessant ist, die bislang von uns nur ein x86er geprägtes Produktportfolio bezogen hatten und bei ARM/SoC auf andere Hersteller zugreifen mussten. Denn mithilfe von Kontron Modulen und Boards können OEM beispielsweise im Steuerungsrechner-Segment effizient die komplette Bandbreite an Applikationsbedürfnissen mit über die Prozessorgrenzen hinweg skalierbaren COTS-Produkten abdecken – von beispielsweise Intel Core i7 Panel PCs für anspruchsvollste Applikationen bis hinunter zu Low-Power-Lösungen mit ARM basierten Panel PCs – alles aus einer Hand.

Bleibt aber der Entwicklungsaufwand mit ARM nicht gerade hinsichtlich der Software enorm?

Norbert Hauser: Initialer Aufwand muss für jede neue Applikation getätigt werden. Und viele Lösungen brauchen ein passendes Ökosystem, damit sich die individuelle Entwicklung auch mit angemessenem Aufwand umsetzen lässt. Das hat die x86er-Technologie so attraktiv gemacht. Aber auch für ARM ist einiges in Bewegung. Deshalb wird ARM ja auch zunehmend ebenfalls attraktiv. Zudem legt Kontron beim ARM Support auch einen Schwerpunkt auf Software sowie weitere Services. Diese reichen von Treiberentwicklungen und Bootloader-Code-Anpassungen bis hin zu umfassenden Applikations-Portierungs-und Validierungs-Services sowie HW/SW-Bundles einschließlich der Stückzahllizenzen. OEM profitieren damit von einem effizienten Migrationspfad und gleichzeitig deutlich reduzierten Kosten, da sie die für sie ideale Lösung als „Application Ready Platform“ beziehen können, die bei Bedarf auch bereits zertifiziert ist. So können sich OEM voll auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren: die Applikationsentwicklung.

Wo sehen Sie das höchste Marktpotenzial?

Norbert Hauser: Der Bedarf nach immer kleineren Formfaktoren und geringerer Leistungsaufnahme erstreckt sich quasi über alle Branchen. Daher sehen wir in diversen vertikalen Märkten Applikationen, die von der Implementierung von ARM-Technologie auf standardbasierten Modulen und Boards profitieren können. Ein Boom Markt der kommenden Jahre für ARM-Designs ergibt sich sicherlich aus der zunehmenden Vernetzung von Computing Plattformen – Stichwort: Internet of Things. Diese Entwicklung wird den Bedarf nach mobilen bzw. dezentralen Low-Power Devices enorm vorantreiben. Je nach Quelle reichen die Schätzungen von 50 Milliarden bis hin zu 1 Billion vernetzten Geräten bis 2015. Doch auch bereits etablierte Anwendungsfelder können von der ARM-Technologie profitieren. So z.B. Digital Signage Installationen, etwa in Bussen und Bahnen oder an Haltestellen und Werbesäulen. Die Systeme können dank der geringen Wärmeabgabe der ARM Prozessoren komplett geschlossen und somit robust und ausfallsicher konstruiert werden und bieten trotzdem eine sehr hohe Grafik- und Videoperformance. Zudem lassen sich Interaktions- und intuitive Bedienkonzepte, wie man sie von aktuellen ARM Smartphones und Tablets kennt, implementieren. Der Bereich der industriellen Automatisierung profitiert vor allem von den platzsparenden Designs, die aufgrund der vereinfachten Kühlinfrastruktur – aber z.B. auch der geringen Bauhöhe des neuen COM Standards – möglich werden. Ein Beispiel wären extrem flache Panel PCs die als Bedienterminals oder als Thin bzw. Ultra-Thin-Clients von Maschinen eingesetzt werden. Diese müssten nicht mehr eingebaut werden, sondern könnten z.T. sogar aufgrund des reduzierten Platzbedarfs einfach an die Maschinenaußenseite angebaut werden. Die reduzierte Wärmeentwicklung wirkt sich außerdem positiv auf die MTBF Werte der Systeme, gerade mit Displays, positiv aus. Auch im Medical Markt gibt es zahlreiche vielversprechende Anwendungsfälle für ARM-basierte Systeme. Mögliche Applikationen sind bspw. robuste und langzeitverfügbare Tablet-PCs die papierene Dokumentationsakte auf Station ablösen und medizinischem Fachpersonal den ortsungebundenen und direkten Zugriff auf KIS oder PACS Daten gewähren – und das dank energieeffizienter ARM-Prozessoren mit einer Akkustandzeit für eine volle Schicht. Im Medizingerätebereich könnten noch kompaktere und mobilere Diagnosegeräte, wie beispielsweise batteriebetriebene Ultraschallgeräte, möglich werden. Oder auch mobile Patientenüberwachungsgeräte welche den Gesundheitszustand von Patienten überwachen und die Daten ggf. drahtlos übermitteln, profitieren in ganz besonderem Maße von der geringen Verlustleistung der ARM-Prozessoren, da sie einen besonders langen Einsatz ermöglichen, ohne die Akkus neu laden zu müssen

Wann sind welche ARM-­Produkte zu erwarten?

Norbert Hauser: Auf der Embedded World werden wir die ersten Modul- und Board-Studien auf ARM-Basis präsentieren. Im Laufe des Jahres folgen dann die Produktlaunches auf Board- und Modulelevel sowie komplette Systeme wie robuste Tablet-PC, HMI oder Box-PC. Zudem sind bereits heute OEM-Lösungen in der Entwicklung, bei denen wir die bestehenden Building-Blocks eindesignen und damit sehr effizient wiederverwerten können. Letztere stehen dann auch als Beweis dafür, wie effizient und bequem spezifische Systemdesigns auf Basis unserer standardbasierten Produkte umgesetzt werden können. Unsere Kunden können zudem immer selbst entscheiden, in welchem Umfang sie die Entwicklung der ARM-basierten Hardware an Kontron auslagern. Sie können einzelne Module, Boards oder Systeme einkaufen oder die komplette, individuell angepasste Hardware inklusive Basissoftware-Support. In jedem Fall aber – ob sie sich nun für Module, Boards oder Systeme als Building Block entscheiden oder aber weitere individuelle Designservices wünschen: OEM profitieren in jedem Fall von einer vereinfachten Entwicklung und sind schneller mit innovativen ARM-Lösungen am Markt, als wenn Sie ein Full-Custom-Design umsetzen würden. Je mehr Standards und COTS wir of-the-shelf einsetzen können, desto besser ist es ja. Das ist die Erfolgsgeschichte von x86 und diese wird es auch für ARM-Plattformen geben, die „PC-like“ sind. Anders wird nämlich auch ARM nicht in diesem Bereich bestehen können. Offenheit ist nämlich auch hier der Schlüssel zum Erfolg.

Kontron AG
www.kontron.com

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