„COMs sparen Zeit und Geld“

Interview mit Martin Danzer, congatec AG

„COMs sparen Zeit
und Geld“

congatec entwickelt seit vielen Jahren Computer-on-Module und ist an der Gründung der wichtigsten COM-Standards beteiligt. Martin Danzer, Manager Projektmanagement bei congatec, erklärt im Interview, warum COMs gerade für die Industrieautomation interessant sind und welche Vorteile sie dort für den Anwender zu bieten haben.

Martin Danzer:

Martin Danzer: „Wenn es um die Entwicklung industrieller Automatisierungsplattformen geht, bieten COMs die größte Flexibilität in der kürzesten Zeit.“ (Bild: congatec AG)


Warum haben Sie sich gerade für den COM-Formfaktor entschieden?

Danzer: congatec entwickelt bereits seit den späten 1990er Jahren Computer-on-Module (COMs) und ist maßgebend an der Gründung der wichtigsten COM-Standards wie COM Express, Qseven, ETX und XTX beteiligt. Zu den größten Vorteilen der COMs gehören ein kürzeres Time-to-Market und insgesamt niedrigere Entwicklungskosten für den OEM. Wenn es um die Entwicklung industrieller Automatisierungsplattformen geht, bieten COMs die größte Flexibilität in der kürzesten Zeit.

Welche Vorteile bietet der COM-Formfaktor gegenüber den anderen kleinen Formfaktoren, die auf dem Markt zu finden sind?

Danzer: Im Vergleich mit anderen Board-Formfaktoren sind COMs immer dort sinnvoll, wo spezielle Hardware-Funktionen erforderlich sind. Dabei kann es sich um dedizierte Schnittstellen, eine spezielle Stromversorgung oder einfach nur um eine besondere mechanische Form handeln. Solche speziellen Anforderungen können nur von einem Full-Custom-Design erfüllt werden, das von Grund auf neu entwickelt werden muss, oder einem Semi-Custom-Design, bei dem alle standardmäßigen PC-Funktionen auf dem COM und alle Sonderfunktionen auf einer Trägerplatine integriert sind. Ein Full-Custom-Design nimmt viel Zeit und Entwicklungsaufwand in Anspruch; das zahlt sich nur bei 50.000 oder mehr Stückzahlen pro Jahr aus. Der COM-Ansatz erfordert weniger Entwicklungsaufwand, weil die Rechenfunktionen bereits im COM integriert sind und sich der Entwickler ganz auf die Sonderfunktionen auf dem Carrier Board konzentrieren kann. Dadurch verringert sich das Design-Risiko und das Time-to-Market wird verkürzt. Der Entwickler ist in der Lage, sich auf sein spezifisches Anwendungs-Know-how zu konzentrieren – genau wie sich die congatec-Ingenieure auf die Rechenfunktionen konzentrieren können.

Die Industrieautomation fordert einen hohen Grad an Zuverlässigkeit. Wie schneiden COMs im Vergleich zu anderen Formfaktoren hier technisch gesehen ab?

Danzer: COMs sparen Zeit und Geld. Zudem sind sie flexibler als monolithische PC-basierte Produkte wie Motherboards, Single-Board-Computer, Blades usw. Eine Trägerplatte lässt sich leicht für besondere Automatisierungsanforderungen optimieren; Beispiele sind 24V DC Stromeingänge, echtzeitfähige Ethernet-Implementierungen und direkte E/As für alle Arten von Sensoren und Aktoren. Aber auch das Funktionsangebot der COMs selbst spielt eine wichtige Rolle: Unterstützung für Echtzeit-Betriebssysteme, mehrstufige Watchdog-Timer, erweiterte Temperaturbereiche und Heatpipe-Kühllösungen für erhöhte Zuverlässigkeit sind allesamt wichtig. Obwohl COMs im Vergleich zu einem Full-Custom-Board nicht in jeder Hinsicht eine perfekte Lösung sind, schneiden sie ganz oben ab, wenn es um Zeit, Geld und Nachhaltigkeit geht. OEMs, die COMs zum Einsatz bringen, brauchen auch kein erfahrenes Personal für die Entwicklung der PC-Steuerung, die in den meisten OEM-Produkten eingebettet ist. Der OEM konzentriert sich allein auf die E/As und den Platzbedarf auf der Trägerplatte, die das COM beherbergt. Das ist fast ein Kinderspiel, verglichen mit dem Versuch, bei den Design-Regeln für die neuesten PC-Architekturen auf dem aktuellsten Stand zu bleiben. Langfristige Verfügbarkeit ist ebenfalls wichtig. Bei Standard-Formfaktoren wie miniITX oder ATX ändern sich beispielsweise die Chipsätze und das Layout der Stecker ziemlich oft. Kundenspezifische Trägerplatten ändern sich dagegen nicht automatisch und die bei COMs verwendeten Komponenten basieren auf einer Embedded Roadmap, die ein Minimum von sieben Jahren Verfügbarkeit garantiert. Nach Ablauf dieser Zeitspanne können standardisierte COMs ohne weitere Änderungen ausgetauscht werden – die Trägerplatte und die komplette Kühlung bleiben gleich; es muss lediglich ein aktuelles COM verwendet werden. Wenn COM-Experten mit Experten aus dem Bereich der Industrieautomation zusammenarbeiten, entstehen Produkte mit insgesamt höherem Zuverlässigkeitsgrad. COMs werden für extreme Umgebungen entwickelt und getestet – die meisten miniITX-Boards sind für das vergleichsweise freundliche Büro-Umfeld konzipiert, werden keinen Schock-, Vibrations- oder extremen Temperaturtests ausgesetzt und unterstützen selten mehr als das eigentliche Microsoft-Windows Betriebssystem.

COMs sind für den Einsatz in professionellen und industriellen Anwendungen konzipiert. Kommerzielle Anwendungen verwenden die gleichen CPUs und Chipsätze – wo ist da der Unterschied?

Danzer: Es sind die Details, die hier den Unterschied machen. Das beginnt mit der Auswahl der Chips. Wir verwenden nur Komponenten aus der Embedded Roadmap – wie bereits erwähnt, ermöglicht das eine Langzeitverfügbarkeit von sieben Jahren oder mehr. Das ist insbesondere bei medizinischen Anwendungen von großer Bedeutung, wo jede Änderung eine teure und zeitaufwendige Rezertifizierung erfordert. Daneben entspricht die Qualität des Designs industriellen Anforderungen. Wir testen jedes neue COM für extreme Temperaturen, die weit außerhalb der Standardtemperaturbereiche liegen. Auch unsere Kühllösungen sind optimiert. Bei unseren leistungsstärksten COMs basiert die Kühlung auf einer Heatpipe, um die Temperatur auf dem Die zu reduzieren. Tests mit Heatpipes zeigen Temperatursenkungen von bis zu 14°C; dadurch verbessert sich der MTBF-Wert (Mean Time Between Failure), der beste Wert zur Messung der Zuverlässigkeit, bis um das Achtffache.

In welchem Maß haben die technischen Anforderungen für COMs in der industriellen Automatisierung in den letzten fünf Jahren zugenommen?

Danzer: In den letzten fünf bis zehn Jahren hat es eine ganze Reihe von technischen Neuerungen und Verbesserungsansätzen gegeben. Zum einen hat Multicore Einzug in die langfristige Embedded Roadmap der Silizium-Anbieter gehalten. Viele Embedded-Anwendungen, auch im Bereich der Industrieautomation, nutzen die Vorteile von Multicore mit entprechend optimiertem Code. AMD bietet Accelerated Processing Units (APUs), die es dem Designer ermöglichen, die General Purpose Graphics Processor Units (GPGPUs) als CPU zu verwenden. Mit der richtigen Kodierung ändern sich die Möglichkeiten, wie man mit weniger mehr erreichen kann, grundlegend – vor allem wenn man dabei an geringere Leistung, kleinere Abmessungen und niedrigere Kosten denkt. Industrielle Automatisierungssysteme sind enger miteinander vernetzt und anspruchsvoller als je zuvor. PLCs und HMIs waren einst völlig getrennte Boxen, die durch eine Kommunikationsschnittstelle verbunden wurden – in der Regel Ethernet oder eine echtzeitfähige Implementierung von Ethernet. Mit den heutigen Multicore-Technologien greift man bei industriellen Automatisierungs-Lösungen mehr und mehr auf Virtualisierung zurück. Eine Hardware ist genug; PLC und HMI werden beide von einer CPU betrieben. Bei der Echtzeit-Virtualisierung ist ein Core, der den PLC auf Basis eines Echtzeit-Betriebssystems betreibt, vollständig isoliert. Weitere Kerne (typischerweise zwei) sind für das Windows- oder Linux-basierte HMI vorgesehen. Der verbleibende vierte Kern einer Quad-Core CPU wird als Firewall genutzt, um Datensicherheit zu gewährleisten. Dabei muss nicht einmal die bestehende Software umgeschrieben werden, weil der Einsatz von Multicore durch einen Echtzeit-Hypervisor gesteuert wird. Dieser partitioniert die CPUs und auch die angeschlossenen E/As, um Konflikte zwischen den verschiedenen Betriebssystemen zu vermeiden. Die Kommunikation zwischen den getrennten Anwendungen läuft – wie bisher – über einen virtuellen Ethernet-Port. Die Entwickler von Systemen für die Industrieautomation erwarten, dass die COM-Anbieter all diese Silizium-Neuerungen mit entsprechenden Lösungen unterstützen.

Wie müssen sich COMs für die Industrieautomation in den kommenden fünf Jahren technisch weiterentwickeln?

Danzer: Noch mehr Konnektivität ist das erste, was mir bei dieser Frage in den Sinn kommt. Die meisten von uns sind mit den Schlagworten ‚Internet der Dinge‘ und ‚Intelligente Systeme‘ vertraut. Das bedeutet, dass industrielle Automatisierungssysteme immer intelligenter und leistungsfähiger werden. Man denke nur an die rasant zunehmende Heimvernetzung. Dieser Trend zeichnet sich schon heute in vielen vertikalen Märkten der Embedded Computerindustrie ab.

Was sind die wichtigsten technischen Herausforderungen, mit denen Ihre Kunden in der industriellen Automatisierungsbranche derzeit konfrontiert sind? Wie helfen Sie ihnen, diese Herausforderungen zu meistern?

Danzer: Auf der technischen Seite sind es oft der Stromverbrauch sowie die physikalische Größe. Wenn Sie sich heute umschauen, treffen Sie immer wieder auf Qseven als einen der kleinsten, bewährten COM-Formfaktoren. Mit Abmessungen von 70x70mm ist er ziemlich klein. Vor Kurzem gab es ein Update der Qseven-Spezifikation, die eine Version von 40x70mm vorsieht. Für heutige Verhältnisse ist dieser Formfaktor klein, aber in dem Maß, indem das Silizium kleiner und dichter vernetzt wird, steigt auch die Nachfrage nach immer kleineren COMs. Dieser Trend spiegelt sich in den Erwartungen industrieller Automatisierungs-Unternehmen. Sie wollen kleine Formfaktoren auf Systemebene, die möglichst wenig Strom verbrauchen und möglichst billig sind. Für die COM-Hersteller liegt die Herausforderung immer darin, die energieeffizienteste Lösung zu finden. Dabei geht es nicht nur um die Auswahl der besten CPUs, sondern auch um eine sorgfältige Planung der benötigten DC/DC-Wandler. Geringerer Stromverbrauch führt zu insgesamt niedrigeren Betriebskosten, einerseits bedingt durch Energieeinsparungen und anderseits, was vielleicht noch wichtiger ist, durch geringeren Hardware-Aufwand für die Kühlung.

congatec AG
www.congatec.com

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