Was kann Quantencomputing?

Quantencomputer versprechen enorme Rechenleistung und bieten großes Potenzial für Gesellschaft und Wirtschaft. Sie könnten etwa dazu eingesetzt werden, neue medikamentöse Wirkstoffe zu finden. Doch wie ist der aktuelle Stand der Technologie? Dr. Marco Roth vom Fraunhofer IPA gibt einen Überblick.

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Die Digitalisierung durchdringt sowohl gesellschaftliche als auch professionelle Prozesse bis hin zur Transformation ganzer Industriezweige. Möglich wird der rasante Fortschritt dieser digitalen Revolution durch stets wachsende Rechenleistung. Dieses Wachstum wird zu einem großen Teil durch das Moor’sche Gesetz gewährleistet. Es besagt, dass sich die Anzahl an Transistoren auf gängigen Chips etwa alle zwei Jahre verdoppelt. Ein wesentlicher Treiber dieser Beobachtung, die oft auch als selbsterfüllende Prophezeiung betrachtet wird, ist die Miniaturisierung elektrischer Schaltkreise. Die Größe von Komponenten in gängigen Transistoren beläuft sich heute auf nur noch wenige Nanometer. Dies wirft die Frage auf, wie weit man diese Verkleinerung noch vorantreiben kann. Die Antwort: Es sind sogar Berechnungen mit Bauteilen auf der Größenskala einzelner Atome möglich, auch wenn sich das zugrundeliegende Rechenparadigma grundlegend von der Art unterscheidet, wie herkömmliche Computer arbeiten.

Die Anfänge des Quantencomputing

Der Unterschied liegt darin begründet, dass die Gesetzmäßigkeiten des Mikrokosmos stark von dem abweichen, was in unserem Alltag erfahrbar ist. Die physikalische Theorie, die das Verhalten von sehr kleinen Systemen beschreibt, ist die Quantenmechanik. Quantencomputing beschreibt die Nutzung quantenmechanischer Systeme zur Durchführung von Berechnungen. Den ersten Popularitätsschub hat das Feld Anfang der 1990er Jahre durch die Entwicklung des Shor-Algorithmus erfahren. Der Algorithmus erlaubt eine effiziente Zerlegung von Zahlen in ihre Primfaktoren. Was zunächst abstrakt klingt, könnte enorme realweltliche Auswirkungen haben, da eine Reihe der gängigen Kryoptographiemethoden in der IT wie z.B. Rivest-Shamir-Adleman (RSA) auf der Annahme basieren, dass es keinen Algorithmus gibt, der die Faktorisierung in polynomischer Laufzeit erlaubt. Der Shor-Algorithmus macht aber genau das möglich und stellt daher die bestehende Sicherheitsarchitektur vieler IT-Systeme infrage. In den folgenden Jahren wurden weitere Algorithmen entdeckt, die einen deutlichen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber den besten bekannten Methoden versprechen. Im Idealfall schrumpfen so die Rechenzeiten bestimmter Algorithmen von mehreren Jahren auf einige Tage, was somit potenziell den Zugang zu derzeit unlösbaren Problemen ermöglicht. Heute steht Quantencomputing an der Schwelle von der Grundlagenforschung zur Anwendung. Die Nutzung quantenbasierter Algorithmen birgt großes gesellschaftliches und wirtschaftliches Potenzial. So kam eine McKinsey-Analyse 2021 zu dem Schluss, dass der Value at Stake durch Quantencomputing allein in den Industriebereichen Chemie, Pharmazeutik, Automotive und Finanzen im Jahr 2035 zwischen 300 und 700 Milliarden US-Dollar betragen könnte. Da es sich dabei um Prognosen handelt, die auf Annahmen über die künftige technologische Entwicklung basieren, sind diese Zahlen aber mit einer großen Unsicherheit behaftet. Konkret könnten Anwendungen wie die Entwicklung von medikamentösen Wirkstoffen, die Optimierung von Warenströmen oder die Konstruktion neuartiger Materialien von Quantencomputing profitieren.

Die Funktionsweise

Doch was genau macht Quantencomputing potenziell so mächtig? In Analogie zum Bit, der kleinsten Informationseinheit für herkömmliche Computer, bezeichnet man das kleinste quantenmechanische System, mit dem man Berechnungen durchführt, als Qubit. Zum Bau eines Qubits können verschiedene physikalische Systeme wie supraleitende Schaltkreise, eingefangene Ionen oder spezielle Diamanten genutzt werden. Qubits sind, anders als Transistoren, auf deren Basis Bits konstruiert werden, keine binären Systeme mit nur zwei exklusiv einnehmbaren Zuständen. Vielmehr können sie in sogenannten quantenmechanischen Superpositionszuständen existieren, in denen sie mehrere Zustände zur gleichen Zeit einnehmen. Ein Qubit kann somit nicht nur in den herkömmlichen Zuständen 0 und 1, sondern auch in einer Mischung aus 0 und 1 gleichzeitig vorliegen. Durch die Verknüpfung mehrerer Qubits erhöht sich die Anzahl an möglichen Zuständen, die simultan eingenommen werden, exponentiell, sodass schon ein Quantencomputer mit ca. 50 Qubits Zustände erzeugen kann, die mit derzeit verfügbaren Hochleistungsrechnern nicht simulierbar sind.

Neben der Größe des Zustandsraums können Quantencomputer auf eine weitere Ressource zurückgreifen, die nur quantenmechanischen Systemen zur Verfügung steht: die Verschränkung. Von Albert Einstein einst skeptisch als spooky action at a distance bezeichnet, ist die Verschränkung längst selbstverständlicher Teil der Quantenmechanik, wie z.B. die Vergabe des Nobelpreises für Physik an die Quantenforscher Alain Aspect, John Clauser und Anton Zeilinger im Jahr 2022 gezeigt hat. Verschränkte Systeme weisen nicht-klassische Korrelationen auf, bei denen die Manipulation eines Teilchens auch über große Entfernungen (einen Kilometer und mehr) Implikationen auf den Zustand eines mit ihm verschränkten Teilchens haben kann.

Aktuelle Herausforderungen

Der Grund dafür, dass die oben beschriebenen Quanteneigenschaften wie Superposition und Verschränkung in unserer alltäglichen Wahrnehmung nicht erfahrbar sind, ist zugleich eine maßgebliche technologische Hürde für das Quantencomputing. Quantensysteme stehen in Kontakt mit ihrer Umwelt und wechselwirken mit ihr. Dadurch verlieren sie ihre Quanteneigenschaften und weisen zunehmend klassische Charakteristika auf. Um Quantensysteme für Berechnungen zu nutzen, muss man sie also von der Umgebung isolieren. Zugleich ist es nötig, Qubits zu manipulieren und auszulesen. Das Resultat dieses Dilemmas ist, dass quantenmechanische Berechnungen unweigerlich fehlerbehaftet sind. Das Fernziel der aktuellen technologischen Entwicklungen ist es daher, einen Quantencomputer zu konstruieren, bei dem diese intrinsische Fehlerbehaftung korrigiert werden kann. Dies setzt aber enorme Fortschritte voraus, sodass mit fehlerkorrigierten Systemen erst in mehreren Jahren gerechnet werden kann. So hat die Bundesregierung im Jahr 2021 eine Roadmap Quantencomputing erstellen lassen, in der das Ziel der Fehlerkorrektur ungefähr für die Jahre 2030 bis 2035 prognostiziert wurde. Vor dem Hintergrund der Fehlerkorrektur sind auch die Spezifikationen wie die Zahl der Qubits aktueller Systeme zu sehen. So hat etwa IBM im November 2022 ihren neuesten Chip mit 433 Qubits vorgestellt. Da diese Qubits aber nicht fehlerkorrigiert sind, ist deren derzeitige Einsatzmöglichkeit limitiert. Trotz der noch vorhandenen technologischen Einschränkungen können die derzeitigen Quantencomputer bereits für Berechnungen eingesetzt werden. Um mit der Fehlerbehaftung umzugehen, werden aktuell hauptsächlich hybride Algorithmen verwendet. Diese rufen den Quantencomputer nur für eine kurze Dauer auf, während der Großteil der Berechnung auf herkömmlichen Computern stattfindet. Eine aktive Forschungsfrage ist momentan, welche konkreten Anwendungen von Quantencomputing profitieren könnten. Neben der Kryptographie gelten die Simulation von Quantensystemen, die mathematische Optimierung und maschinelles Lernen als Anwendungsgebiete mit einem potenziell frühen Quantenvorteil.

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Fraunhofer-Institut f. Arbeitswirtschaft

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